Wie wird der Autoverkehr in etwas fernerer Zukunft aussehen? Sagen wir, in 20 oder 30 Jahren? Bis dahin sollten selbstfahrende Autos kein Problem mehr darstellen, und das eröffnet riesige Möglichkeiten – abgesehen vom Datenschutz.
Ein Szenario
Ich wohne etwas außerhalb eines Ballungsgebietes – „auf dem Land“ wäre zuviel gesagt, hier gibt es Bahnanbindung in die City, Busse fahren auch, aber doch weit entfernt von U- und S-Bahn. Meine Arbeitsstelle liegt ungefähr genausoweit draußen am Rand einer anderen Stadt des gleichen Ballungsraumes. Das bedeutet: Es gibt keine direkten öffentlichen Verbindungen zwischen meinem Wohnort und meiner Arbeitsstelle. Öffentlich müsste ich von zu Hause mit dem Zug in die eine Stadt fahren, von dort mit der S-Bahn in die andere Stadt und von dort wiederum mit dem Bus zu meiner Arbeitsstelle.
Mit dem Auto dauert das etwa 35 Minuten, öffentlich etwa anderthalb Stunden – und auch das nur, wenn ich alle Anschlüsse erwische, sonst kommt je nach Uhrzeit noch eine halbe bis eine Stunde obendrauf.
Grundsätzlich bin ich begeisterter Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel, aber das ist dann doch zuviel. Taxifahren verbietet sich bei dieser Fahrzeit natürlich von selbst, und es wäre, ökologisch gesehen, natürlich sowieso noch viel schlechter als der Kleinwagen, den ich für den Weg zur Arbeit benutze.
Spulen wir mal 30 Jahre vor, oder, wie ich sehr hoffe, vielleicht auch nur 15 oder 20 Jahre?
Wir besitzen kein Auto mehr. Beim Frühstück bestelle ich mir via App ein Auto für den Weg zur Arbeit. Da ich ihn oft fahre, habe ich das Ziel fest eingespeichert, ein Klick genügt. Ich frühstücke fertig, ziehe mich an, gehe vor die Tür.
Dort wartet ein winziges Elektroauto auf mich. Es ist kleiner als ein Smart, kaum zwei Meter lang. Eine Sitzbank für 2-3 Personen, ein kleiner Kofferraum, mehr nicht.
Ich setze mich rein und schließe die Tür. Anschnallen muss ich mich nicht.
Während das Auto losfährt, nehme ich ein Buch aus der Tasche und beginne zu lesen. Zwischendurch schaue ich aus dem Fenster. Wenn ich wollte, könnte ich dank des Netzanschlusses auch schon mit der Arbeit beginnen, aber ich genieße lieber die Zeit der Entspannung vor der Arbeit.
Als wir auf der größeren Landstraße angekommen sind, verbindet sich mein Auto mit vier anderen zu einem Zug. Auf dem Weg Richtung Arbeit scheren immer wieder Autos aus und neue kommen hinzu. Obwohl die Straße nicht mehrspurig ist, bedeutet das keine starken Abbrems- oder Beschleunigungsmanöver. Wer zuerst wieder abbiegt, wurde von vorneherein hinten angehängt, so dass der Rest des Zuges nicht ineffizient bremsen muss.
Ich stelle fest, dass ich heute eine andere Strecke fahre als sonst. Klar, Urlaubszeit, der kurze Autobahnabschnitt der Strecke ist wahrscheinlich ziemlich voll.
An meinem Arbeitsort angekommen steige ich aus. „Mein“ Auto fährt sofort wieder los und wendet sich anderen Kunden zu.
Nachdem ich einige vorbereitende Arbeiten erledigt habe, mache ich mich auf den Weg zu einem Kunden in 300 km Entfernung. Das Auto dafür habe ich schon vor ein paar Tagen bestellt. Indem ich in der Zeitplanung um eine Stunde hin oder her flexibel war, konnte ich den billigen Langzugtarif nutzen. Ich muss mich etwas beeilen, denn wenn ich nicht rechtzeitig in den vor der Tür stehenden Shuttle einsteige, verfällt meine Buchung. Er steht aber schon seit fast zehn Minuten hier, also selber schuld.
Der Shuttle ist sehr eckig, sieht aus wie ein Hochhaus auf Rädern. Er kann sich in einen Langzug einhängen, dann ist das ganze Gebilde sehr stromlinienförmig. Er fährt mich zur nächsten Autobahn und wird dort Teil eines auf die Sekunde getimten Langzuges. Im Gegensatz zu dem Zug auf dem Weg zur Arbeit wird hier physisch gekoppelt. Die Kraft zur Fortbewegung kommt von der Lokomotive. Wenige Minuten später sause ich mit 250 Sachen über die Autobahn. Langsamer werden wir nur dort, wo die Kurven zu eng sind.
Schöne neue Welt
Das ist in vielerlei Hinsicht eine richtig tolle Aussicht:
- Stauvermeidung: Die Zentrale weiß immer über alle Autos Bescheid – nicht nur darüber, wo sie gerade sind, sondern auch darüber, wohin sie gerade fahren. Dadurch kann der gesamte Verkehr ideal ausgelegt werden. Wenn sich die Überlastung einer Strecke abzeichnet, können einige Autos auf andere Strecken geleitet werden. Wer es nicht so eilig hat, könnte dann die langsamere Variante sogar billiger bekommen.
- Umweltschutz: Durch die komplette Kenntnis des gesamten Verkehrs können Beschleunigungs- und Bremsvorgänge ideal so gestaltet werden, dass der Energieverbrauch minimiert wird. Dadurch ließe sich der Energieverbrauch um Größenordnungen verringern.
Wegen der besseren Sicherheit (siehe unten) kann auf die Sicherheitsvorkehrungen weitgehend verzichtet werden, die Autos heute immer schwerer machen. - Kostenersparnis: Nicht nur die Kosten für die Energie werden minimiert, auch die fürs Auto. Die meisten Autos werden heute maximal eine Stunde pro Tag bewegt und stehen ansonsten sinnlos in der Gegend herum. Das bedeutet natürlich nicht, dass man mit 1/24 der Autos auskommen könnte, denn die Anzahl der Autos muss ja für die Stoßzeiten, also den Berufsverkehr, ausreichen. Trotzdem ergibt sich hier massives Einsparpotenzial.
- Flexibilität: Wer heute mit öffentlichen Verkehrsmitteln fährt, ist auf den Fahrplan angewiesen. Wenn zum benötigten Zeitpunkt nichts fährt, schaut man in die Röhre. Das ist vor allem auf dem Land relevant, wo die Frequenz öffentlicher Verkehrsmittel eben nicht alle zehn Minuten, sondern alle halbe Stunde, jede Stunde oder noch seltener ist – wenn überhaupt eine Haltestelle in der Nähe ist. Natürlich wird ein selbstfahrendes Auto auch eine Weile brauchen, um entlegene Gebiete zu erreichen, aber immerhin kann man es zum benötigten Zeitpunkt bestellen.
Außerdem kann ein System, das Position und Ziel aller Verkehrsteilnehmer kennt, flexibel auf Störungen reagieren und zeitkritische Systeme wie die von mir imaginierten „Langzüge“ gegebenenfalls ideal so umstellen, dass für alle Beteiligten der kleinstmögliche Zeitverlust in Bezug zum kleinstmöglichen Energieverlust entsteht. - Sicherheit: Selbstfahrende Autos können miteinander kommunizieren. Sie können sich gegenseitig vor Verkehrsstörungen warnen, lange bevor das betreffende Auto sie erreicht hat. In akuten Gefahrensituationen können Autos „miteinander ausmachen“, wer wohin ausweicht.
Sensoren können die Umgebung weit besser im Auge haben, als ein Mensch es je könnte. Fest installierte Streckenüberwachungshardware auf Schnellfahrstrecken kann Hindernisse indentifizieren, bevor die Autos überhaupt in ihre Nähe kommen.
Aber?
Das klingt alles toll, oder? Wo sind die Nachteile?
- Selber fahren wird verboten: Klingt extrem, und ganz so wird es so schnell auch nicht kommen. Aber doch: Das perfekte System, wie im Szenario oben beschrieben, funktioniert nur, wenn niemand mehr selbst steuert. Letztlich wird es vermutlich darauf hinauslaufen, dass das Selbstfahren nur noch auf kleinen Straßen, zum Beispiel bis hin zum Landstraßen-Level erlaubt ist. Zugang zu höheren Straßen wie Bundesstraßen und Autobahnen wird physisch verhindert, weil manche der dort verkehrenden selbstfahrenden Autos nicht mehr über die nötigen Sensoren verfügen, um Selbstfahrern auszuweichen. Blockade von Shuttles, die zum Nicht-Erreichen des Langzugs führt, wird mit Geldstrafen geahndet.
Radfahren auf allen Straßen ab Landstraßenlevel ist grundsätzlich verboten. Dafür werden eigene Radfernwege geschaffen. - Fehlende Beziehung zum Auto: Persönlich ist mir das herzlich egal, aber es gibt Leute, die lieben ihr Auto. Die werden Widerstand leisten. Letztlich wird es eine kleine Gemeinde von Selbstfahrern geben, etwa wie Oldtimer-Liebhaber heute. Sie werden den anderen ziemlich auf die Nerven gehen.
- Überwachung: Das ist der zentrale und schlimmste Punkt dieses Szenarios: Die zentrale Verkehrsüberwachung weiß immer, wo jedes Auto ist. Über die ohnehin vorhandenen Kameras jedes Roboter-Autos die Selbstfahrer zu erfassen ist kein Problem. Und: Weil jeder sein Auto immer bestellen muss, weiß die Verkehrsüberwachung auch immer, wer wann wohin fährt. Technisch wäre es durchaus so lösbar, dass nicht klar ist, wer in einem Auto von A nach B fährt, aber es ist nicht zu erwarten, dass solche Datenschutzstandards tatsächlich eingeführt werden.
Natürlich: Zumindest auf Autobahnen ist durch die Mautbrücken mit ihrem Nummernschild-Scannenden Equipment so ein Szenario heute schon gegeben. Und es wird jetzt auf Bundesstraßen ausgeweitet. Trotzdem wäre das noch ein deutlich weiterer Schritt hin zum gläsernen Bürger.
Fazit
Schöne neue Welt?
Ich vermute, dass die Datenschutzproblematik bis dahin kein „Problem“ mehr darstellt, weil durch andere Methoden dieselben Möglichkeiten ohnehin gegeben sind. Und da ich mein Auto als Gebrauchsgegenstand ansehe und nur das gemütliche Cruisen in einem Wohnmobil wirklich genießen kann, finde ich es auch nicht weiter schlimm, wenn einem das in Zukunft abgenommen wird.
Also ja:
Schöne neue Welt! Ich freu mich drauf.
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Umweltschutz #
Verkehr